Innovationsstark, aber bei Finanzierungen benachteiligt: Gründer mit Migrationshintergrund im ZEW-Check
Eine aktuelle Analyse des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung bestätigt, dass Gründer mit Migrationshintergrund in Deutschland eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Erneuerung spielen. Die am 4. Dezember 2025 veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass diese Gruppe häufiger innovative Produkte einführt und stärker auf Wachstum setzt als Gründer ohne Einwanderungsgeschichte. Gleichzeitig legt die Untersuchung ein strukturelles Problem offen: Trotz höherer Innovationskraft haben diese Unternehmer deutlich schlechtere Chancen, an externes Kapital zu gelangen, und sind oft auf private Mittel angewiesen.
Gründer mit Migrationshintergrund als Innovationsmotor
Inhaltsverzeichnis
Die deutsche Wirtschaftslandschaft befindet sich in einem stetigen Strukturwandel, bei dem Gründer mit Migrationshintergrund zunehmend als entscheidende Akteure auftreten. Die Studie widerlegt das gängige Vorurteil, dass Migranten primär aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus gründen. Vielmehr zeigt die Datenlage, dass die Gründungsmotivation in dieser Gruppe oft ambitionierter ist als im Bevölkerungsdurchschnitt. Sie gründen, um spezifische Geschäftsideen zu realisieren, Marktlücken zu schließen oder bestehende Angebote signifikant zu verbessern.
Ein zentrales Ergebnis der ZEW-Untersuchung ist die explizite Ausrichtung auf Expansion. Rund 33 Prozent der Unternehmen, die von Personen mit Migrationshintergrund ins Leben gerufen wurden, geben den Geschäftsausbau als ihr vorrangiges Ziel an. Zum Vergleich: Bei Unternehmen, deren Inhaber keine Einwanderungsgeschichte aufweisen, liegt dieser Wert lediglich bei 25 Prozent. Diese Wachstumsambition korreliert stark mit der Art der angebotenen Lösungen. Die Studie belegt, dass diese Start-ups häufiger in Forschung und Entwicklung investieren. Das Resultat sind oft Produkte und Dienstleistungen, die einen hohen Neuheitsgrad aufweisen und die es in dieser Form zuvor weder auf dem nationalen noch auf dem internationalen Markt gab.
Diese Innovationskraft ist dabei nicht auf bestimmte Nischen beschränkt. Unabhängig von Faktoren wie dem Bildungsniveau, der Branche oder dem Standort leisten Gründer mit Migrationshintergrund einen messbaren Beitrag zur Modernisierung des deutschen Gründungsökosystems. Sie bringen neue Perspektiven ein und erschließen Märkte, die etablierten Akteuren oft verschlossen bleiben.
Strukturelle Nachteile bei der Kapitalbeschaffung
Trotz der nachgewiesenen Leistungsfähigkeit und der hohen Bereitschaft, in Innovationen zu investieren, stoßen Gründer mit Migrationshintergrund auf signifikante Hürden, sobald es um die Finanzierung ihrer Vorhaben geht. Die Kapitalaquise stellt sich für diese Gruppe als deutlich schwieriger dar als für ihre Wettbewerber ohne Migrationshintergrund.
Laut der Analyse berichten 18 Prozent der Gründer mit Migrationsgeschichte von ernsthaften Schwierigkeiten beim Zugang zu externem Kapital. Bei Gründern ohne Migrationshintergrund liegt dieser Anteil bei nur 12 Prozent. Diese Diskrepanz ist statistisch signifikant und lässt sich nicht allein durch betriebswirtschaftliche Kennzahlen erklären. Selbst wenn objektive Faktoren wie die Branche, die Erfahrung der Gründer, der Standort des Unternehmens oder das Bildungsniveau statistisch bereinigt werden, bleibt der Unterschied bestehen.
Dies deutet auf tieferliegende Probleme im deutschen Finanzierungssystem hin. Die Wissenschaftler des ZEW vermuten, dass mehrere Faktoren hier zusammenwirken. Ein wesentlicher Punkt ist das Fehlen langjähriger Beziehungen zu Hausbanken, die in Deutschland traditionell eine wichtige Rolle bei der Kreditvergabe an den Mittelstand spielen. Hinzu kommt ein oft geringerer Zugang zu etablierten geschäftlichen Netzwerken, die Türen zu Investoren oder Business Angels öffnen könnten. Die Studie nennt zudem explizit mögliche Vorurteile bei der Kreditvergabe als Barriere, die die Chancengleichheit beeinträchtigen.
Wirtschaftliche Folgen ungenutzter Potenziale
Die Benachteiligung beim Kapitalzugang hat direkte negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Wenn Gründer mit Migrationshintergrund keinen adäquaten Zugang zu Krediten oder Wagniskapital erhalten, müssen sie verstärkt auf eigene Ersparnisse oder Gelder aus dem persönlichen Umfeld zurückgreifen („Bootstrapping“). Dies limitiert die Geschwindigkeit, mit der innovative Ideen umgesetzt werden können.
Vielversprechende Projekte werden dadurch oft verzögert realisiert oder müssen im Umfang reduziert werden. Im schlimmsten Fall scheitern innovative Gründungen nicht an der Qualität der Idee oder der Kompetenz der Unternehmer, sondern an fehlender Liquidität in der Wachstumsphase. Prof. Dr. Hanna Hottenrott, Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“, betont in der Veröffentlichung, dass gerade in innovationsstarken Branchen diese Gründer einen entscheidenden Beitrag zum Strukturwandel leisten könnten, sofern die Rahmenbedingungen angepasst würden.
Das ungenutzte Potenzial ist erheblich. Eine bessere Integration in das bestehende Finanzierungs- und Start-up-Ökosystem würde nicht nur die individuellen Erfolgschancen der Unternehmer erhöhen, sondern auch neue Dynamiken in Wirtschaftszweige bringen, in denen Migranten bislang unterrepräsentiert sind. Elisa Rodepeter, Ko-Autorin der Studie, weist darauf hin, dass hier gezielte politische Maßnahmen erforderlich sind, um die bestehenden Benachteiligungen abzubauen.
Klarer Handlungsbedarf
Die Ergebnisse der ZEW-Studie kommen zu einer Zeit, in der Deutschland intensiv über Wege zur Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit diskutiert. Innovationen gelten als Schlüsselrohstoff für die Zukunft des Standorts. Die Erkenntnis, dass eine der dynamischsten Gründergruppen systematisch ausgebremst wird, dürfte die Debatte um Diversität in der Wirtschaft und faire Finanzierungszugänge neu entfachen.
Für die Politik und die Finanzwirtschaft leitet sich aus der Studie ein klarer Handlungsauftrag ab: Es gilt, Mechanismen zu entwickeln, die eine objektivere Bewertung von Kreditrisiken ermöglichen und Netzwerke für alle Akteure zu öffnen. Nur wenn Gründer mit Migrationshintergrund die gleichen Ressourcen nutzen können wie ihre Mitbewerber, kann die deutsche Wirtschaft vollumfänglich von deren Innovationskraft und Wachstumsorientierung profitieren.
Datengrundlage der Analyse
Die Validität der Aussagen stützt sich auf eine robuste Datenbasis. Die Ergebnisse beruhen auf dem IAB/ZEW-Gründungspanel. Dabei handelt es sich um eine repräsentative Stichprobe für Deutschland, die detaillierte Informationen über Gründungsaktivitäten und die Entwicklung junger Unternehmen über einen längeren Zeitraum erfasst.
Das Panel gilt als eine der wichtigsten Quellen der Gründungsforschung in Deutschland, da es nicht nur Momentaufnahmen liefert, sondern die Analyse von Strukturen und Entwicklungsverläufen ermöglicht. Durch den hohen Detailgrad der Daten konnten die Wissenschaftler den Einfluss des Migrationshintergrunds isoliert betrachten und ihn gegen andere Einflussfaktoren abgrenzen. Dies stärkt die These, dass Gründer mit Migrationshintergrund tatsächlich spezifischen, nicht marktbedingten Hürden gegenüberstehen.
Faktenbox
| Kernfakten zur ZEW-Studie | |
|---|---|
| Thema | Innovationskraft und Finanzierungshürden bei Gründern mit Migrationshintergrund |
| Herausgeber | ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung |
| Autoren | Prof. Dr. Hanna Hottenrott, Elisa Rodepeter |
| Wachstumsziel | 33 % der Migranten-Gründungen streben Geschäftsausbau an (vs. 25 % ohne Migrationshintergrund) |
| Finanzierungshürden | 18 % berichten von Problemen beim Kapitalzugang (vs. 12 % ohne Migrationshintergrund) |
| Datengrundlage | IAB/ZEW-Gründungspanel (repräsentative Stichprobe) |
| Ursachen für Barrieren | Fehlende Bankbeziehungen, eingeschränkte Netzwerke, mögliche Vorurteile |