Europäische KI-Allianz: Deutsche Telekom und Schwarz Gruppe schmieden Pläne für eine KI-Gigafactory
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Die deutsche Technologielandschaft steht vor einer Zäsur. Berichten zufolge befinden sich die Deutsche Telekom AG und die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) in fortgeschrittenen Verhandlungen über den Bau einer gemeinsamen Infrastruktur für Künstliche Intelligenz. Das Projekt KI-Gigafactory zielt darauf ab, die Abhängigkeit Europas von US-amerikanischen Hyperscalern zu verringern und eine souveräne, hochleistungsfähige KI-Infrastruktur aufzubauen.
Im Zentrum der Planungen steht ein Investitionsvolumen im Milliardenbereich, das den Bau eines Rechenzentrums vorsieht, welches speziell für das Training komplexer KI-Modelle optimiert ist. Als potenzieller Finanzierungspartner ist der kanadische Vermögensverwalter Brookfield im Gespräch. Der Standort der physischen Infrastruktur deutet auf Lübbenau in Brandenburg hin, während die strategischen Fäden in den Konzernzentralen in Bonn und Neckarsulm zusammenlaufen. Dieser Bericht analysiert die technologischen, ökonomischen und geopolitischen Dimensionen dieses Vorhabens und bewertet seine Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Eine Allianz der Giganten
Die Nachricht schlug in der deutschen Wirtschaft ein wie ein Paukenschlag: Zwei der mächtigsten Konzerne des Landes, die Deutsche Telekom und die Schwarz Gruppe, planen den Schulterschluss. Ihr gemeinsames Ziel ist nichts Geringeres als der Aufbau einer europäischen „AI Gigafactory“ – eines gigantischen Rechenzentrums, das speziell auf die Bedürfnisse generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) zugeschnitten ist.
Die Relevanz dieses Projekts ergibt sich aus der drückenden Dominanz US-amerikanischer Technologiekonzerne. Unternehmen wie Amazon (AWS), Microsoft (Azure) und Google kontrollieren weite Teile der globalen Cloud-Infrastruktur. Deutsche und europäische Unternehmen sind für ihre digitale Transformation zunehmend auf diese Anbieter angewiesen, was Fragen der digitalen Souveränität und Datensicherheit aufwirft. Die geplante KI-Gigafactory soll hier ein Gegengewicht schaffen.
Laut Berichten des Handelsblatts und weiterer Wirtschaftsmedien führen die Vorstandsvorsitzenden Timotheus Höttges (Telekom) und Gerd Chrzanowski (Schwarz Gruppe) die Gespräche persönlich an. Dies unterstreicht die strategische Priorität des Vorhabens. Es handelt sich bereits um den zweiten Anlauf einer solchen Kooperation; ein erster Versuch im Sommer 2025 war noch an unterschiedlichen Konzeptvorstellungen gescheitert. Nun scheinen die Verhandlungen jedoch weit fortgeschritten zu sein, getrieben durch die Aussicht auf massive Fördergelder der Europäischen Union und den Druck, im globalen KI-Wettlauf nicht den Anschluss zu verlieren.
Strategischer Kontext: Europas Kampf um die KI-Souveränität
Der „AI Continent Action Plan“ der EU
Die Pläne der beiden Konzerne sind nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern eng mit der politischen Agenda der Europäischen Union verknüpft. Die EU-Kommission hat im Frühjahr 2025 ein umfassendes Investitionspaket von rund 20 Milliarden Euro angekündigt, um Europa als Standort für Künstliche Intelligenz zu stärken. Ein Kernbestandteil dieser Strategie ist die Förderung sogenannter „AI Factories“ – spezialisierte Rechenzentren, die Start-ups, der Industrie und der Wissenschaft Zugang zu enormer Rechenleistung bieten sollen.
Der Begriff „Gigafactory“, ursprünglich durch Tesla für die Batteriefertigung geprägt, wird hier auf die Datenökonomie übertragen. Er impliziert Skaleneffekte, die bisher nur in den USA oder China realisiert wurden. Die EU-Kommission plant, drei bis fünf solcher Großanlagen in Europa zu fördern. Die Investitionssummen pro Standort werden auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt. Für die Telekom und die Schwarz Gruppe ist dies ein entscheidender Anreiz: Durch eine gemeinsame Bewerbung steigen die Chancen, einen dieser begehrten Standorte nach Deutschland zu holen und von Subventionen zu profitieren, die bis zu 35 Prozent der Investitionskosten decken könnten.
Die Lücke in der Infrastruktur
Experten warnen seit Langem vor einer gefährlichen Lücke in der europäischen IT-Landschaft. Während Europa in der Grundlagenforschung zur KI stark aufgestellt ist, fehlt es an der notwendigen Hardware-Infrastruktur, um große KI-Modelle (Large Language Models, LLMs) effizient zu trainieren und zu betreiben. Derzeit werden rund 70 Prozent der KI-Hochleistungs-Chips in den USA genutzt, während in Europa lediglich fünf Prozent dieser Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Tim Höttges, CEO der Deutschen Telekom, brachte das Problem auf den Punkt: „Ohne KI kann man die Industrie vergessen. Ohne KI kann man den Standort Deutschland vergessen“. Die Abhängigkeit von US-Infrastruktur bedeutet nicht nur einen Abfluss von Wertschöpfung, sondern auch potenzielle Risiken im Hinblick auf den US Cloud Act, der US-Behörden unter bestimmten Umständen Zugriff auf Daten gewährt, selbst wenn diese im Ausland gespeichert sind. Die KI-Gigafactory positioniert sich hier als die souveräne Alternative, die Datenhaltung und -verarbeitung strikt nach europäischem Recht (DSGVO) garantiert.
Die Akteure: Profile und Motivationen
Die Schwarz Gruppe: Vom Händler zum Tech-Giganten
Die Schwarz Gruppe mit Sitz in Neckarsulm ist primär als Muttergesellschaft der Einzelhandelsketten Lidl und Kaufland bekannt. Doch in den letzten Jahren hat sich der Konzern still und leise zu einem ernstzunehmenden Akteur im IT-Markt gewandelt. Unter der Führung von Gerd Chrzanowski verfolgt das Unternehmen eine Strategie der extremen vertikalen Integration. Was mit der Produktion eigener Lebensmittel (Getränke, Backwaren, Eis) begann, wurde konsequent auf die digitale Infrastruktur übertragen.
Mit der Gründung der Sparte „Schwarz Digits“ hat der Konzern seine IT-Aktivitäten gebündelt. Dazu gehören der Cloud-Anbieter STACKIT und das Cybersicherheitsunternehmen XM Cyber. Der Umsatz von Schwarz Digits belief sich im Geschäftsjahr 2024/25 bereits auf 1,9 Milliarden Euro. Die Motivation ist klar: Unabhängigkeit. Als einer der größten Einzelhändler der Welt generiert die Schwarz Gruppe riesige Datenmengen. Diese Daten in die Hände von Wettbewerbern wie Amazon (AWS) zu geben, wäre strategisch riskant.
Die Rolle von Neckarsulm ist dabei zentral. Das Keyword KI-Gigafactory verweist nicht nur auf den Sitz der Zentrale, sondern auf das Nervenzentrum dieser Transformation. In Neckarsulm und dem nahen Heilbronn (wo die Schwarz-Stiftung den „Innovation Park Artificial Intelligence“ IPAI massiv fördert) entsteht ein Ökosystem, das Forschung, Anwendung und Infrastruktur verknüpft. Die geplante Gigafactory wäre der nächste logische Baustein in diesem Mosaik, um die technologische Basis für die Zukunft des Handels und darüber hinaus zu sichern.
Deutsche Telekom: Der Weg zur „Leading Digital Telco“
Für die Deutsche Telekom ist das Projekt Teil ihrer Evolution vom klassischen Netzbetreiber zum Technologiekonzern („TechCo“). Der Markt für Sprachtelefonie und reine Konnektivität ist gesättigt; Wachstum liegt in digitalen Diensten, Cloud-Lösungen und Systemintegration. Die Telekom-Tochter T-Systems ist hier der operative Arm.
Die Telekom hat bereits Erfahrung im Aufbau von KI-Infrastruktur gesammelt. Im November 2025 kündigte sie gemeinsam mit dem Chip-Hersteller Nvidia den Bau einer „Industrial AI Cloud“ in München an. Dieses Projekt, mit einem Investitionsvolumen von über einer Milliarde Euro, zielt darauf ab, rund 10.000 Hochleistungs-GPUs bereitzustellen.
Doch die geplante KI-Gigafactory spielt in einer anderen Liga. Hier geht es potenziell um Dimensionen von bis zu 100.000 KI-Chips. Ein solches Volumen kann die Telekom allein kaum stemmen – weder finanziell noch risikotechnisch. Die Partnerschaft mit der Schwarz Gruppe, die als nicht-börsennotiertes Stiftungsunternehmen über eine hohe Kapitalschlagkraft und schnelle Entscheidungswege verfügt, ist daher ideal.
Brookfield: Das Kapital im Hintergrund
Ein Projekt dieser Größenordnung erfordert enorme Vorabinvestitionen (Capex). Hier kommt der dritte Akteur ins Spiel: Brookfield. Der kanadische Vermögensverwalter ist einer der weltweit größten Investoren in Infrastrukturprojekte, von erneuerbaren Energien bis hin zu Datenleitungen.1
Die Rolle von Brookfield wäre die eines Finanzpartners, der das Kapital für den Bau der physischen Hülle und möglicherweise auch für die Hardware-Beschaffung bereitstellt. In einem typischen Modell würde Brookfield die Infrastruktur besitzen und langfristig an das Joint Venture aus Telekom und Schwarz vermieten. Dies würde die Bilanzen der deutschen Konzerne entlasten und das finanzielle Risiko verteilen. Gespräche mit Brookfield werden als „weit fortgeschritten“ beschrieben 1, was die Ernsthaftigkeit des Vorhabens unterstreicht.
Der Standort: Lübbenau als neues Daten-Kraftwerk
Während Neckarsulm und Bonn die strategischen Zentren sind, liegt das operative Herzstück des Projekts in Brandenburg. Die Schwarz Gruppe hat bereits im November 2025 den Grundstein für ein eigenes Mega-Rechenzentrum in Lübbenau im Spreewald gelegt.
Vom Braunkohlestrom zur Rechenleistung
Der Standort Lübbenau ist symbolträchtig und strategisch klug gewählt. Auf dem Gelände eines ehemaligen Braunkohlekraftwerks, das 1996 stillgelegt wurde, entsteht nun die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts. Die Standortvorteile sind immens:
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- Energieanbindung: Die alten Kraftwerksstandorte verfügen über exzellente Anbindungen an das Hochspannungsnetz. Wo früher Strom eingespeist wurde, kann er nun entnommen werden. Dies spart Jahre an Planungs- und Bauzeit für neue Stromtrassen.
- Flächenverfügbarkeit: Industriebrachen bieten den nötigen Platz für die riesigen Serverhallen und Kühlsysteme, ohne neue Flächen versiegeln zu müssen.
- Konnektivität: Lübbenau liegt günstig zwischen Berlin und Dresden und ist gut an die Glasfaser-Backbones der Telekom angebunden.
Dimensionen der Anlage
Die Schwarz Gruppe plant in Lübbenau Investitionen von bis zu 11 Milliarden Euro über die nächsten 15 Jahre. In der Endausbaustufe könnte der Standort eine Leistung von mehreren hundert Megawatt aufweisen. Das gemeinsame Projekt der KI-Gigafactory würde voraussichtlich in diese bestehenden Planungen integriert oder auf einem angrenzenden Areal realisiert werden, um Synergien bei Kühlung, Sicherheit und Energieversorgung zu nutzen.
Die Anlage soll modular aufgebaut sein und schrittweise erweitert werden. Die erste Phase, die bereits im Bau ist, umfasst Investitionen von rund 2,5 Milliarden Euro für den Bau und die IT-Infrastruktur. Dass für diesen Teil keine staatlichen Fördergelder fließen, wie die Schwarz Gruppe betont , zeigt die finanzielle Unabhängigkeit des Konzerns. Für den spezifischen KI-Ausbau im Joint Venture mit der Telekom wird jedoch explizit auf EU-Mittel geschielt.
Technologische Tiefenanalyse: Was ist eine „KI-Gigafactory“?
Der Begriff „Gigafactory“ wird oft inflationär gebraucht, doch im Kontext von KI-Infrastruktur beschreibt er eine spezifische Architektur, die sich grundlegend von herkömmlichen Cloud-Rechenzentren unterscheidet.
GPU-Cluster statt CPU-Server
Klassische Rechenzentren basieren auf Central Processing Units (CPUs), die für allgemeine Aufgaben wie Webhosting, Datenbanken oder ERP-Systeme optimiert sind. Eine KI-Fabrik hingegen ist auf Graphics Processing Units (GPUs) oder spezialisierte KI-Beschleuniger (TPUs, NPUs) ausgerichtet. Diese Chips sind in der Lage, die massiven parallelen Matrixoperationen durchzuführen, die für das Training von neuronalen Netzen erforderlich sind.
Das Ziel des Joint Ventures ist die Bereitstellung von bis zu 100.000 solcher Einheiten. Zum Einsatz dürften Chips der neuesten Generation von Nvidia (z.B. Blackwell-Architektur) kommen. Die Herausforderung liegt hier nicht nur in der Beschaffung – Nvidia-Chips sind weltweit knapp und teuer –, sondern auch in der Vernetzung. Damit Tausende von GPUs als ein einziger Supercomputer an einem KI-Modell arbeiten können, bedarf es extrem schneller Verbindungen (InfiniBand oder Ethernet mit hoher Bandbreite) und einer Latenzzeit nahe Null. Die Telekom bringt hier ihre Expertise in der Netzwerktechnologie ein.
Energie und Kühlung
KI-Chips haben eine extrem hohe Leistungsdichte. Ein einzelnes Rack mit KI-Servern kann bis zu 100 Kilowatt oder mehr verbrauchen – das Zehnfache eines Standard-Serverracks. Dies stellt enorme Anforderungen an die Kühlung. Luftkühlung reicht oft nicht mehr aus; stattdessen müssen Flüssigkeitskühlung (Direct-to-Chip oder Immersion Cooling) eingesetzt werden.
Das Projekt in Lübbenau muss daher von Grund auf für diese hohen thermischen Lasten ausgelegt sein. Die Nutzung von Abwärme, etwa für Fernwärmenetze oder industrielle Prozesse, wird ein zentraler Faktor für die Genehmigungsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Projekts sein, insbesondere im Hinblick auf das neue Energieeffizienzgesetz in Deutschland.
Ökonomische und politische Implikationen
Stärkung des Standorts Deutschland
Die Realisierung der KI-Gigafactory wäre ein massiver Gewinn für den Standort Deutschland. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist das Ziel verankert, Deutschland zu einem führenden KI-Standort zu machen. Bislang drohte die Bundesrepublik jedoch, den Anschluss zu verlieren.
Ein solches Rechenzentrum wirkt wie ein Magnet: Es zieht KI-Start-ups, Forscher und Fachkräfte an, die auf die Nähe zur Rechenleistung angewiesen sind. Unternehmen aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Pharmabranche könnten ihre sensiblen Entwicklungsdaten in Deutschland verarbeiten, anstatt sie auf US-Server zu laden. Dies ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in einer Zeit, in der Daten als das „neue Öl“ gelten.
Konkurrenz und Synergie
Interessant ist die Konstellation der Partner auch im Hinblick auf den Wettbewerb. Eigentlich konkurrieren Telekom (T-Systems) und Schwarz (STACKIT) im Cloud-Markt um Unternehmenskunden. Doch der Aufbau einer KI-Gigafactory ist so kapitalintensiv, dass eine Kooperation („Coopetition“) rationaler ist als ein Alleingang.
Zudem gibt es weitere Player im deutschen Markt. SAP, Siemens und Ionos wurden in der Vergangenheit ebenfalls als potenzielle Partner für ein europäisches KI-Konsortium genannt.5 Es ist denkbar, dass das Projekt von Telekom und Schwarz offen für weitere Partner gestaltet wird, um eine breite industrielle Basis zu schaffen.
Die Rolle der EU-Förderung
Die Bewerbung um EU-Mittel ist ein komplexer Prozess. Die Partner müssen nachweisen, dass ihr Projekt nicht nur national, sondern europäisch wirkt (Spill-over-Effekte). Die EU-Kommission hat strenge Kriterien für die Vergabe der Fördermittel aus dem Programm „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) oder dem „EuroHPC Joint Undertaking“.
Ein kritischer Punkt könnte die Beteiligung von Brookfield sein. Die EU sieht es oft ungern, wenn Fördermittel indirekt an außereuropäische Investoren fließen. Die Struktur des Joint Ventures muss also sicherstellen, dass die Kontrolle (Governance) und das geistige Eigentum eindeutig in Europa verbleiben.
Herausforderungen und Risiken
Trotz der Euphorie ist das Projekt kein Selbstläufer. Es bestehen signifikante Risiken:
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- Technologische Obsoleszenz: Die Entwicklung von KI-Hardware schreitet rasend schnell voran. Chips, die heute gekauft werden, können in drei Jahren veraltet sein. Investitionen in Milliardenhöhe bergen das Risiko, in „Stranded Assets“ zu enden, wenn sich die Technologie schneller dreht als die Abschreibungszyklen.
- Energiepreise: Deutschland hat im internationalen Vergleich hohe Industriestrompreise. Auch wenn Lübbenau gute Netzanbindungen bietet, sind die operativen Kosten (Opex) ein Standortnachteil gegenüber Skandinavien oder den USA.
- Fachkräftemangel: Der Betrieb einer solchen Anlage erfordert hochspezialisierte Ingenieure und KI-Experten, um die der weltweite Wettbewerb tobt.
- Regulierung: Der kommende EU AI Act setzt enge Leitplanken für die Entwicklung von KI-Modellen. Dies schafft Rechtssicherheit, kann aber auch als Innovationsbremse wirken, wenn die Compliance-Kosten zu hoch sind.
Ein geopolitisches Signal aus Bonn und Neckarsulm
Die geplante Kooperation zur Errichtung der KI-Gigafactory ist mehr als nur eine Unternehmensmeldung; sie ist ein geopolitisches Statement. Sie demonstriert den Willen der deutschen Industrie, das Feld der künstlichen Intelligenz nicht kampflos dem Silicon Valley zu überlassen.
Die Kombination der Stärken ist vielversprechend: Die Schwarz Gruppe bringt Kapital, Pragmatismus und eine riesige eigene Anwenderbasis (Lidl/Kaufland) mit. Die Telekom steuert Netzkompetenz, Vertriebskanäle und politische Vernetzung bei. Brookfield könnte die finanzielle Feuerkraft liefern, um schnell zu skalieren.
Sollte das Projekt realisiert werden – und die Zeichen stehen laut Insidern auf „Grün“ – entstünde in Deutschland das leistungsfähigste KI-Rechenzentrum des Kontinents. Es wäre ein Leuchtturmprojekt für die digitale Souveränität Europas und ein Beweis dafür, dass Transformation auch aus der Mitte der traditionellen Wirtschaft – aus Bonn und Neckarsulm – gelingen kann. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, wenn die offiziellen Anträge in Brüssel eingereicht und die Verträge finalisiert werden.
Detaillierte Analyse der Unternehmensstrategien
Um die Tragweite der KI-Gigafactory vollständig zu erfassen, lohnt ein tieferer Blick in die individuellen Strategien der beteiligten Konzerne. Warum gehen ein Lebensmittelhändler und ein Telekommunikationsunternehmen dieses Wagnis ein?
Schwarz Gruppe: Das „Ökosystem der Souveränität“
Die Schwarz Gruppe ist ein Phänomen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Als größter Einzelhändler Europas (Umsatz > 167 Mrd. Euro) hat sie eine Marktmacht erreicht, die sie für globale Tech-Konzerne eigentlich zum idealen Kunden macht. Doch statt sich in die Abhängigkeit von Microsoft oder Amazon zu begeben, entschied sich der Konzern unter der Ägide von Dieter Schwarz und Gerd Chrzanowski für den schwierigeren Weg: „Selbermachen“.
Diese Philosophie ist tief in der DNA des Unternehmens verwurzelt. Was mit der Produktion von Mineralwasser und Schokolade für die eigenen Filialen begann, wurde auf strategisch kritische Bereiche ausgeweitet:
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- Entsorgung & Recycling: Mit PreZero baute Schwarz einen eigenen Entsorgungsriesen auf, um den Rohstoffkreislauf zu schließen.
- Papierherstellung: Um Verpackungen zu sichern, kaufte man Papierfabriken.
- IT & Digitales: Dies ist der jüngste und wohl ambitionierteste Schritt.
Die Gründung von Schwarz Digits als eigenständige Sparte war die logische Konsequenz. Die Cloud-Plattform STACKIT entstand zunächst aus der internen Notwendigkeit, die riesigen Datenmengen der 13.900 Filialen sicher zu verwalten. Als man feststellte, dass die am Markt verfügbaren Lösungen entweder nicht sicher genug (US Cloud Act) oder nicht leistungsfähig genug waren, baute man eine eigene Cloud. Diese wird nun erfolgreich an Dritte vermarktet, darunter Kunden wie der FC Bayern München oder die Hafenverwaltung Duisburg.
Die geplante KI-Gigafactory ist der Turbolader für diese Strategie. KI wird die Art und Weise, wie Handel funktioniert, revolutionieren – von der dynamischen Preisgestaltung über die automatisierte Logistik bis hin zur Kundeninteraktion. Um diese Modelle zu trainieren, benötigt Schwarz Digits Rechenpower, die am Markt extrem teuer ist. Durch den Bau einer eigenen Fabrik sichert sich der Konzern den Zugriff auf diese Ressource zu Selbstkosten und macht sich unabhängig von Preisschwankungen bei AWS oder Azure.
Der Standort Neckarsulm ist dabei weit mehr als nur eine Postadresse. Er hat sich zu einem Magneten für IT-Talente im süddeutschen Raum entwickelt, in direkter Konkurrenz zu Stuttgart oder München. Die Kooperation mit der Telekom würde diesen Status zementieren und Neckarsulm endgültig als Tech-Hub etablieren.
Deutsche Telekom: Flucht nach vorn
Für die Deutsche Telekom stellt sich die Lage anders dar. Als ehemaliger Staatsmonopolist verfügt sie über eine exzellente Infrastruktur, kämpft aber mit sinkenden Margen im klassischen Geschäft. Der Versuch, mit der „Open Telekom Cloud“ gegen AWS anzutreten, war mühsam. Die Erkenntnis: Alleine kann man gegen die Billionen-Dollar-Konzerne aus Seattle und Mountain View nicht bestehen.
Die Strategie von Tim Höttges lautet daher: Partnerschaften und Spezialisierung.
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- Partnerschaften: Die Kooperation mit Nvidia für die „Industrial AI Cloud“ war ein erster Schritt. Die Telekom liefert das Rechenzentrum und das Netzwerk, Nvidia die Hardware und Software.
- Spezialisierung: Statt eine „Alles-für-Jeden“-Cloud anzubieten, fokussiert sich die Telekom auf Bereiche, in denen sie punkten kann: Sicherheit, Datenschutz und industrielle Anwendungen („Industrial IoT“).
Die KI-Gigafactory passt perfekt in dieses Bild. Sie adressiert genau das Segment, das von den US-Anbietern oft vernachlässigt wird: Den hochsicheren, regulatorisch konformen europäischen Markt. Für Kunden aus dem öffentlichen Sektor, dem Gesundheitswesen oder der Rüstungsindustrie sind US-Clouds oft keine Option. Hier entsteht eine Marktnische von enormem Wert, die Telekom und Schwarz gemeinsam besetzen wollen.
Die Rolle des Standorts Lübbenau im Detail
Warum Lübbenau? Die Wahl dieses Standorts in der Lausitz ist kein Zufall, sondern Ergebnis kühler Kalkulation.
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- Stromkapazität: KI-Rechenzentren sind Stromfresser. Ein Campus dieser Größe benötigt so viel Energie wie eine mittlere Großstadt. In Lübbenau existieren durch das alte Kraftwerk Umspannwerke und Leitungen, die für Hunderte von Megawatt ausgelegt sind. Einen solchen Netzanschluss neu zu bauen, würde in Deutschland heute 5 bis 10 Jahre dauern. In Lübbenau ist er da.
- Glasfaser: Die Telekom betreibt in der Region bereits wichtige Knotenpunkte. Die Latenzzeiten nach Berlin, Dresden oder Leipzig sind minimal.
- Sicherheit: Der Standort ist als ehemaliges Kraftwerksgelände bereits gut gesichert, liegt abseits von Flugrouten und ist nicht erdbebengefährdet.
- Strukturwandel: Die Region lechzt nach Investitionen. Die politische Unterstützung durch die Landesregierung Brandenburg und die Bundesregierung ist gewiss, was Genehmigungsverfahren beschleunigen kann.
Was passiert als Nächstes?
Die kommenden Monate sind kritisch. Folgende Meilensteine stehen an:
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- Formalisierung des Joint Ventures: Aus den „fortgeschrittenen Gesprächen“ muss ein rechtlich bindender Vertrag werden. Hier müssen Fragen der Bewertung, der Anteile und der Führung geklärt werden. Wer hat das Sagen: Bonn oder Neckarsulm?
- Einbindung von Brookfield: Die Rolle des Finanzinvestors muss vertraglich fixiert werden. Wie hoch ist seine Renditeerwartung? Wie wird der Exit geregelt?
- EU-Antrag: Die Bewerbung um die Fördermittel muss eingereicht werden. Dies ist ein bürokratischer Kraftakt, der detaillierte technische und ökonomische Planungen erfordert.
- Hardware-Sicherung: Parallel müssen bereits Lieferverträge mit Nvidia oder anderen Chip-Herstellern (AMD, Intel) verhandelt werden, da die Lieferzeiten für Top-Hardware oft 12 Monate und mehr betragen.
Das Projekt KI-Gigafactory ist ein Wagnis, aber eines mit enormem Potenzial. Gelingt es, entsteht ein digitales Bollwerk in Europa. Scheitert es, dürfte der Zug für eine eigenständige europäische KI-Infrastruktur endgültig abgefahren sein. Die Augen der Tech-Welt richten sich nun auf Neckarsulm und Bonn.
Faktenbox
| Eckdaten zum geplanten Infrastrukturprojekt | |
|---|---|
| Beteiligte Unternehmen | Deutsche Telekom AG, Schwarz Gruppe (via Schwarz Digits) |
| Projektgegenstand | Bau und Betrieb einer KI-Gigafactory (Hochleistungsrechenzentrum für KI) |
| Strategisches Ziel | Stärkung der digitalen Souveränität in Europa, Bereitstellung von KI-Rechenkapazität |
| Technologischer Fokus | High-Performance Computing (HPC) für das Training und den Betrieb von KI-Modellen |
| Investitionsvolumen | Berichten zufolge im Milliardenbereich (Schätzung) |
| Mögliche weitere Partner | Brookfield Asset Management (laut Medienberichten, unbestätigt) |
| Standort | Noch nicht offiziell festgelegt; verschiedene Standorte in Deutschland in Prüfung |